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Mehr als nur eine Vorlage? Das Motiv in der Malerei

Wenn man mit dem Malen beginnt, stellt sich die entscheidende Frage, einfach loslegen und sich auf sein Bauchgefühl verlassen oder eine andere Quelle für die Inspiration nutzen. Stammt die Vorlage aus einer öffentlich zugänglichen Quelle, so verlangt der Gesetzgeber, dass der Nutzer eine ‚persönliche geistige Schöpfung‘ erbringt, also einen künstlerischen Mehrwert schafft. Was aber bedeutet es, wenn der Urheber des Bildes ein Algorithmus ist? Für Künstler*innen, die einen eher konzeptuellen Ansatz verfolgen, ist der Umgang mit der Sprache, auf der die Eingaben (Prompts) basieren, eine neue Spielwiese, auf der sie mit kreativen Eingaben neue und oft überraschende Ergebnisse erzielen können. Was heißt das aber nun für die Malerei? Ein AI-Bildgenerator ist als Sprachmodell konzipiert und liefert immer nur die höchste Wahrscheinlichkeit aus allen zur Verfügung stehenden Bildern, d.h. es handelt sich im Grunde um einen statistischen Mittelwert. Übertragen auf die Malerei heißt das für mich: Wenn ich genaueste Anweisungen zu meiner künstlerischen Idee eingebe, bekomme ich als Ergebnis ein Bild, das die größte statistische Erwartbarkeit in sich vereint. Also etwas, das ich auf keinen Fall malen möchte. Statt gleich zum Computer zu greifen, kann es sich lohnen, erst einmal ein Blatt Papier in die Hand zu nehmen. Um zu collagieren, zu Zeichnen oder einfach mit Farben zu experimentieren. Am besten alles zusammen. Keep it simple. Gerade bei Anfänger:innen wird oft viel Zeit in Technik und Material investiert, ohne dass die schöpferische Leistung im Umgang mit dem Motiv gleichberechtigt in die künstlerische Praxis mit einfließt. 

Ein gutes Beispiel dafür ist der Atlas von Gerhard Richter. Seit Beginn der 1960er Jahre sammle er Photos, die ihm gelegentlich auch geschenkt würden, und verwende ausschließlich solche von „Laien oder Durchschnittsreportern“. Bei ihm und anderen Künstler:innen kann die Fotografie selbst zum Thema der Malerei werden. Wie auch umgekehrt die Malerei eine Inspirationsquelle für „Fotograf:innen“ sein kann. Die Übergänge sind fließend.

Linke Seite: Fotos vom Holi, dem indischen Frühlingsfest. Rechte Seite: Malerei von ©Jonas Burgert.

Wie gemalt. Inszenierte Fotografie von ©Gregory Crewdson.

Mehr Inspiration, bitte! Zerstört das Foto.

Er male Fotos „einfach so ab“, „Erscheinungen wie Überbelichtung und Unschärfe“ kämen „ungewollt mit hinein“. „Ich hatte die Scheißmalerei satt, und ein Foto abzumalen schien mir das Blödsinnigste und Unkünstlerischste, was man machen konnte.“ So Gerhard Richter in seinen Notizen von 1964-1965. Mit selbstgemachten Collagen, Skizzen, Übermalungen und anderen Verfahren zur Dekonstruktion einer Vorlage ist man dagegen auf der sicheren Seite. Ich kann immer wieder beobachten, wie schnell die Motivation durch eine Fotovorlage nach kurzer Zeit steil nach unten fällt. Hilflos wird mit dem Pinsel weitergemalt, ohne zu merken, dass die innere Leere längst auch die Leinwand erreicht hat. Was ist passiert? In den allermeisten Fällen liegt das Problem darin, dass zwischen Maler:in und Motiv keine wirkliche Beziehung entstanden ist. Nach stundenlanger Arbeit kann das ziemlich frustrierend werden. Um das zu überprüfen, lohnt es sich, vor dem Malen das Foto erst einmal zu zeichnen. Hier merke ich schnell, ob ich lustlos herumkritzle oder ob mich die Vorlage anspricht. Die Stellen, an denen mich nichts zum Zeichnen motiviert, werden beim Malen genauso problematisch sein, also weg damit oder etwas Neues rein. Genauso kann es passieren, dass ich etwas sehr reizvoll finde, wie z.B. ein Gesicht, ich aber merke, dass ich beim Zeichnen kaum Anhaltspunkte für die Linie, das Licht und den Schatten finde. Jetzt kann ich schnell reagieren und eine Alternative suchen, die mir mehr Informationen gibt. Ganz anders verhält es sich, wenn ich durch die Bearbeitung meiner Vorlage bereits einen kreativen Prozess mit dem Bild begonnen habe. Abgesehen davon, dass ich mit der Vorlage viel unbefangener experimentieren kann, baue ich eine Beziehung zum Bild auf, die viel spielerischer und lustvoller ist, als es mir auf der Leinwand möglich wäre. Vorausgesetzt, ich arbeite mit realen Dingen, die ich zerreiße und wieder zusammenfüge und über die ich meinen Kaffee schütten kann. Da ist der körperliche Aspekt, bei dem alle Sinne angesprochen werden. Auf diese Weise können viele unkonventionelle Ideen für Komposition und Farbgebung entstehen.

©Adrian Ghenie hat sich für die Collage als Vorlage für seine Malerei entschieden.

©Gesine Englert hat sie als eigene Kunstform entdeckt.

Malerei 2.0. Digital ist besser.

Mit dem Einzug der Digitalisierung in den 1990er Jahren, mit Copy & Paste, Sampling und anderen popkulturellen Verfahren wurden auch die Rechte am Kunstwerk neu hinterfragt. Die Grenzen zwischen eigener und fremder Schöpfung sind durch die Digitalisierung fließend geworden. Neue Verfahren der Bildbearbeitung wirken sich auch auf Ästhetik und Motiv in der Malerei aus. So löste die Möglichkeit der digitalen Nachbearbeitung von Fotografien einen regelrechten Boom in der Malerei aus. Neue Farb- und Formwelten zogen eine ganze Künstlergeneration in ihren Bann und der „Digital Chic“ wurde zu einem der Megatrends der Nullerjahre. Heute ist davon wenig zu spüren und die Malerei besinnt sich wieder auf ihre eigene Geschichte.

Oben. Punks mit und ohne Photoshopfilter.
Unten. ©Daniel Richter ganz anolog vor einem seiner Bilder.

Anlass und Auslöser. Über den Körper zum Bild.

Spätestens seit Mitte der 1950er Jahre vollzog sich mit dem Abstrakten Expressionismus ein Paradigmenwechsel in der Malerei. Visuelle Aspekte traten in den Hintergrund, die Dynamik der körperlichen Aktion rückte ins Zentrum der Betrachtung. Damals eine Revolution und bis heute aus der Malerei nicht mehr wegzudenken. Die Hinwendung zum eigenen Körper als primärem Ausdrucksmittel relativierte dabei auch die Bedeutung der Motive. Musste sie in der realistischen Malerei noch bedeutsam oder zumindest interessant sein, verliert sie diese zentrale Bedeutung und ist nur noch ein Anlass unter vielen. Die Vorherrschaft von Motiv und Sujet ist gebrochen, das Körperliche hat sich fest in die Malerei eingeschrieben und ist selbst zum Thema geworden. Das Motiv ist Anlass und Referenz zugleich und kann je nach Interpretation stärker in den Vordergrund rücken oder ganz hinter den Malprozess zurücktreten.

Oben. Erster Entwurf auf dem Tisch im Atelier von ©Cecily Brown. 
Unten. Die Fotografie tritt hinter den Malprozess zurück

Gerade beim Studium der Malerei kann ich nur empfehlen, möglichst kreativ mit den Möglichkeiten einer Bildvorlage umzugehen. Je mehr ich mich körperlich mit der Vorlage auseinandersetze, desto sinnlicher kann ich in den Malprozess einsteigen. Für eine Malerei, die den Malprozess selbst in den Mittelpunkt stellt, verliert die Vorlage an Relevanz und die körperliche Aktion selbst tritt in den Vordergrund. Es ist nicht sinnvoll, sich auf einen Weg festzulegen, aber die Wichtigkeit einer motivierenden Vorlage für den weiteren Malprozess sollte nicht unterschätzt werden.