Er male Fotos „einfach so ab“, schreibt Gerhard Richter in seinen Notizen von 1964-1965.,„Erscheinungen wie Überbelichtung und Unschärfe“ kämen „ungewollt mit hinein“, „ich hatte die Scheißmalerei satt, und ein Foto abzumalen schien mir das Blödsinnigste und Unkünstlerischste, was man machen konnte.Mein Werk hat insoweit mit der Realität zu tun, dass ich möchte, dass es eine ähnliche Genauigkeit hat. Das schließt nachmalen aus. In der Natur stimmt immer alles: Die Struktur ist richtig, die Proportionen stimmen, die Farben passen zu den Formen. Wenn man das nachmalt, wird es falsch“ so Richter 1987 in einem Interview. Ich kann immer wieder bei meinen Student:innen beobachten, wie schnell die Motivation durch eine Fotovorlage nach kurzer Zeit steil nach unten fällt. Hilflos wird mit dem Pinsel weitergemalt, ohne zu merken, dass die innere Leere längst auch die Leinwand erreicht hat. Was ist passiert? In den allermeisten Fällen liegt das Problem darin, dass zwischen Maler:in und Motiv keine wirkliche Beziehung entstanden ist. Nach stundenlanger Arbeit kann das ziemlich frustrierend werden. Um das zu überprüfen, lohnt es sich, vor dem Malen das Foto erst einmal abzuzeichnen. Hier merke ich schnell, ob ich lustlos herumkritzle oder ob mich die Vorlage anspricht. Die Stellen, an denen mich nichts zum Zeichnen motiviert, werden beim Malen genauso problematisch sein, also weg damit oder etwas Neues rein. Genauso kann es passieren, dass ich etwas sehr reizvoll finde, wie z.B. ein Gesicht, ich aber merke, dass ich beim Zeichnen kaum Anhaltspunkte für die Linie, das Licht und den Schatten finde. Jetzt kann ich schnell reagieren und eine Alternative suchen, die mir mehr Informationen gibt oder mit Überzeichnungen und experimentellen Techniken versuchen der Vorlage eine interessantere Wendung zu geben.

Malerei 2.0. Digital ist besser
Mit dem Einzug der Digitalisierung in den 1990er Jahren, mit Copy & Paste, Sampling und anderen popkulturellen Verfahren wurden auch die Rechte am Kunstwerk neu hinterfragt. Die Grenzen zwischen eigener und fremder Schöpfung sind durch die Digitalisierung fließend geworden. Neue Verfahren der Bildbearbeitung wie Photshop wirken sich auch auf Ästhetik und Motiv in der Malerei aus. So löste die Möglichkeit der digitalen Nachbearbeitung von Fotografien einen regelrechten Boom in der Malerei aus. Neue Farb- und Formwelten zogen eine ganze Künstlergeneration in ihren Bann und der „Digital Chic“ wurde zu einem der Megatrends der Nullerjahre. Stammt die Vorlage aus einer öffentlich zugänglichen Quelle, so verlangt der Gesetzgeber, dass der Nutzer eine ‚persönliche geistige Schöpfung‘ erbringt, also einen künstlerischen Mehrwert schafft. Was aber bedeutet es, wenn der Urheber des Bildes ein Algorithmus ist? Ein AI-Bildgenerator ist als Sprachmodell konzipiert und liefert immer nur die höchste Wahrscheinlichkeit aus aller ihr zur Verfügung stehenden Bildern, d.h. es handelt sich im Grunde um einen statistischen Mittelwert, also etwas, das ich auf keinen Fall malen möchte. In meinen Malkursen begegnen ich immer wieder der Frage, welche Rolle die „künstliche Intelligenz“ für die Malerei spielen könnte? Ist es ein Werkzeug zur Erweiterung unserer kreativen Möglichkeiten oder eher eine Abkürzung, die den künstlerischen Reifeprozess umgeht? Wenn KI-generierte Bilder lediglich übernommen oder minimal variiert werden, bleibt der künstlerische Prozess oberflächlich. Ein generiertes Bild kann zwar eine schnelle Lösung bieten, doch ersetzt es nicht die gedankliche und körperliche Arbeit die ein gutes Bild braucht. Der künstlerische Prozess ist eine Suche nach dem Unmöglichen, nur über Umwege und Fehlversuche kann sich eine eigenständige Bildsprache entwickeln. Ich sehe KI-Bildgeneratoren als ein weiteres Werkzeug – vergleichbar mit der Fotografie oder digitalen Zeichentools. Ihr Wert hängt davon ab, wie reflektiert sie eingesetzt wird.

Mit selbstgemachten Collagen, Skizzen, Übermalungen und anderen Verfahren zur Dekonstruktion einer Vorlage ist man dagegen auf der sicheren Seite. Statt gleich zum Computer zu greifen, lohnt es sich, erst einmal ein Blatt Papier in die Hand zu nehmen. Keep it simple. Das Zerstören vorhandener Vorlagen durch Zerreißen, Überkleben oder Übermalen bricht starre Strukturen auf und, was ich noch wichtiger finde, bezieht alle Sinne in die Gestaltung mit ein. Im Spiel mit den verschiedenen Materialien kann die haptische Erfahrung des Papiers, das Reißen, Schneiden und Schichten eine direkte Verbindung zur taktilen Erfahrung mit Pinsel und Spachtel herstellen und das Verständnis für Texturen und Schichtungen wecken. Der Geruch von feuchtem Papier und frischem Leim kann Erinnerungen und Assoziationen aus der Kindheit wecken, die in das Werk einfließen. Auch akustische Reize – sei es Musik, das Rascheln von Papier oder das Kratzen eines Bleistifts – können einen Rhythmus in die Arbeit bringen und das kreative Denken lenken, vorausgesetzt, ich arbeite mit realen Dingen, über die ich meinen Kaffee gießen kann. Wenn dann noch ein Stück Schokolade dazukommt, ist es eine körperliche Erfahrung, die alle Sinne anspricht. Eine KI ist unschlagbar in der Analyse riesiger Datenmengen, aber sie ist eigentlich blind für die sinnliche Erfahrung der Welt, trotz aller Sensoren, die uns das vorgaukeln sollen.Kunst ist ein Versuch das Unmögliche mit der ,körperlichen Erfahrung von Welt zu versöhnen– etwas, das keine Maschine ersetzen kann.

Über den Körper zum Bild
Spätestens seit Mitte der 1950er Jahre vollzog sich mit dem Abstrakten Expressionismus ein Paradigmenwechsel in der Malerei. Visuelle Aspekte traten in den Hintergrund, die Dynamik der körperlichen Aktion rückte ins Zentrum der Betrachtung. Performance, Tanz, die Ausdehnung in den Raum lösten eine Revolution aus, die bis heute nicht aus der Malerei wegzudenken ist. Mit der Hinwendung zum eigenen Körper als primärem Ausdrucksmittel relativierte sich auch die Bedeutung des Motivs. Musste es in der realistischen Malerei noch bedeutsam oder zumindest interessant sein, so verliert es nun seine zentrale Bedeutung und ist nur noch ein Anlass unter vielen. Die Vorherrschaft von Motiv und Sujet ist gebrochen, das Körperliche hat sich fest in die Malerei eingeschrieben und ist selbst zum Thema geworden. Die gegenständliche Welt ist hinter den Malprozess zurückgetreten.

